Flüchtlinge in Ulm

Bei der Gemeinderatssitzung am 14.10.2015 hielt der Fraktionsvorsitzende Erik Wischmann eine Rede zur Unterbringung von Flüchtlingen in Ulm:

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Frau Bürgermeisterin, meine Herren Bürgermeister, liebe Mitglieder des Gemeinderats,

Debatten zum Thema Flüchtlinge gibt es zur Zeit auf allen Ebenen, von der UNO bis runter in die Kommunen. Grundsätzliche und rechtliche Fragen müssen dabei in Berlin, besser noch in Brüssel geklärt werden.

Wir hier in Ulm haben uns auf die konkrete Umsetzung der Unterbringung und Betreuung zu konzentrieren.

Wobei mir aber schon die Anmerkung erlaubt sei, dass die beste Lösung für die Flüchtlinge wäre, wenn sie gar nicht erst fliehen müssten oder wieder in Ihre Heimat zurückkehren könnten. In Syrien, im Irak und in Afghanistan sind aber fundamentale Terrorregime auf dem Vormarsch. Hier kann – das sollten gerade wir Deutsche wissen – leider nur militärisches Vorgehen helfen. Das sollten sich mal die, die hier in Ulm sich angeblich so sehr um das Wohl der Flüchtlinge sorgen aber gleichzeitig gegen die Firma Airbus wettern, mal überlegen. Ich finde dieses geschichtsvergessene, vordergründige Gutmenschentum erbärmlich.

Wenn die Kanzlerin sagt „wir schaffen das“, so sollte das für Ulm zumindest zutreffen. Wir haben glücklicherweise die finanziellen Spielräume, um die zusätzlichen Aufgaben erfüllen zu können. Ob wir auch die personellen Ressourcen aufbringen können, ist jedoch nicht so klar. Hier geht mein dringender Appell sowohl an die werten Ratskollegen als auch an die Bevölkerung, die Verwaltung von weniger dringenden Aufgaben zu entlasten. Wenn händeringend Wohnraum geschaffen werden muss und Sporthallen vorübergehend umfunktioniert werden, dann haben Schönheitsreparaturen zu warten.

Und an meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Forderungen z.B. Balkone an Flüchtlingsunterkünften anzubringen, zeugen von einer drolligen Ignoranz der Dimension der Aufgabe, vor der wir stehen. Wir sind froh, dass die Landesregierung hier doch etwas realistischer ist und die neuen Regeln für die Wohnflächengröße erst einmal ausgesetzt hat, bis die drängendsten Probleme gelöst sind.

Neben diesen profanen  Aufgaben – so schwierig sie im Detail auch sind – gilt es aber auch die Frage der Integration anzusprechen. Sprach- und Integrationskurse sind natürlich ein wichtiger Baustein. Aber es stellt sich doch eine grundsätzliche Frage: Was heißt eigentlich Integration in der heutigen Zeit? Was erwarten wir? Dass alle Schweinebraten essen und am Sonntag in die Kirche gehen? Sicherlich nicht. Aber was dann? Das führt ganz schnell zu der Frage, worüber sich unsere Gesellschaft, unser Staat heute eigentlich definiert.

Früher war es in Europa einfach: eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Sprache, die gleichen Märchen und Erzählungen und ein gemeinsamer Werte- und Kulturkanon machten die einzelnen Nationen aus. Doch das gilt schon lange nicht mehr, die Gesellschaft wird immer inhomogener und zunehmend bilden sich Parallelgesellschaften oder es kommt wie z.B. in Spanien zu Abspaltungsbewegungen ganzer Regionen.

Anstatt über das gemeinsame Dach Europa mehr zusammenzuwachsen wird wieder mehr das Trennende als das Gemeinsame gesucht. Ob wie in den USA die Verfassung als alleiniges Bindeglied für einen Staat funktioniert, kann bezweifelt werden. Selbst einige der hier in Deutschland geborenen Kinder aus Migrantenfamilien wachsen mit einem Rechts- und Gesellschaftsideal auf, das wenig mit unserer pluralistischen Verfassung zu tun hat. Wenn aber schon die Integration bei den hier Geborenen nicht richtig funktioniert, wie soll es dann bei den Flüchtlingen gelingen?

Und so sehen viele in Deutschland die Flüchtlinge als Bedrohung. Obwohl als konkrete Gefahren meist nur Kriminalität und Gesundheit genannt werden, steckt dahinter doch die grundsätzliche Angst vor Veränderung. Die meisten Menschen scheuen Veränderung, sie wollen das alles im Wesentlichen so bleibt wie es ist, denn dann weiß man wenigstens, woran man ist und kann sich darin einrichten.

Diese Ängste gilt es ernst zu nehmen, denn wir leben in einer Zeit der großen Veränderungen. Anstelle der bedrückenden aber doch stabilen Zeit des kalten Krieges haben wir es heute mit einer zunehmend unübersichtliche Weltlage zu tun, in der Deutschland und Europa eine neue Rolle finden muss. Und das ist eben nicht bequem.

Ich beobachte zunehmend einen Hang zur Nostalgie. Da werden z.B. auf Facebook Bilder von Ulm vor der Bombardierung gezeigt mit dem Kommentar, das es früher doch so viel schöner war. Nein, es war nicht schöner, das scheint nur so in der Verklärung.

Veränderung hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Und das ist auch gut so.

Vielleicht sollte man die Debatte daher unter einem ganz anderen Licht betrachten: Vor einigen Jahren hat dieser Gemeinderat in einer Klausur über den demografischen Wandel und die damit verbundenen Probleme gesprochen. Für ganz wichtig wurde damals befunden, Ulm durch Zuzug weiter wachsen zu lassen. Wir waren uns einig, dass wir mehr junge Menschen brauchen, da sonst immer weniger Erwerbstätige immer mehr Leistungsempfängern gegenüber stehen. Sollten wir uns da nicht freuen, wenn jetzt so viele grundsätzlich erwerbsfähige Menschen neu zu uns kommen?

Klar, ganz so einfach ist es nicht. Es gibt eben nicht nur den gut ausgebildeten, englischsprechenden weltoffenen Syrer, der ohne Probleme in den Arbeitsmarkt findet. Wir haben es mit der ganzen Bandbreite kultureller und sozialer Herkunft zu tun. Aber umso mehr müssen wir dafür sorgen, dass möglichst viele, die zu uns kommen, von reinen Leistungsempfängern zu tragenden Säulen der Gesellschaft werden.

Daher gilt unser großer Dank all jenen, die beruflich oder im Ehrenamt mit großem Einsatz und Hilfsbereitschaft sich für diese Aufgabe einsetzen. Wenn jeder in Ulm nach seinen Möglichkeiten dazu beiträgt, ob mit eigenem Engagement oder auch nur mit der Bereitschaft, sich ein klein wenig einzuschränken und etwas mehr Veränderung zu akzeptieren, dann wird man sagen können: „Ulm schafft das!“